Willst du mehr über feministische Ökonomie erfahren? Suchst du einen Ort für Austausch? In Perspektiven, dem feministischen Buchclub, besprechen wir längere Texte zu feministischer Ökonomie und assoziierten Themen. Die Diskussion dauert jeweils zwischen 60 und 90 Minuten und findet online, jeden letzten Donnerstag im Monat statt − vorläufig über Mittag, je nach Bedarf werden wir den Buchclub alternierend auch am Abend durchführen.
Nach einer kurzen Einführung in den Text, diskutieren wir den Inhalt. Die vorbereitende Lektüre des Buchs ist von Vorteil aber nicht Bedingung. Vorkenntnisse sind keine nötig.
Der nächste Buchclub findet am 25. November um 12:00 Uhr statt. Wir besprechen das Buch Plädoyer für eine Jobgarantie von Pavlina Tcherneva. Melde dich an unter: buchclub@economiefeministe.ch.
Daten 2021 mit Vorgeschmack auf die Lektüre
25. November
Pavlina Tcherneva (2021): Plädoyer für eine Jobgarantie. Berlin, Lola Books (deutsche Ausgabe als eBook erhältlich). Die Annahme, dass Arbeitslosigkeit für eine gut funktionierende Wirtschaft unvermeidbar und nötig ist, macht Arbeitsplätze unsicher: mit verheerenden sozialen, politischen und ökonomischen Folgen. In ihrem Buch Plädoyer für eine Jobgarantie macht Pavlina Tcherneva deutlich, wie verantwortungslos und vor allem auch, wie unnötig, eine solche Wirtschaftspolitik ist. Ihr zufolge kann und soll der Staat Arbeitsmöglichkeiten schaffen – für alle, die arbeiten wollen. Und zwar unabhängig von der persönlichen Situation oder Qualifikation der Arbeitnehmer*innen und unabhängig von der Lage der Ökonomie.
Die Grundidee ist so simpel wie brillant: Der Staat soll mit der Jobgarantie Sektoren finanzieren, in denen der Markt nicht spielt und entsprechend von privatwirtschaftlicher Seite kein Interesse besteht, zu investieren: von der Kinderbetreuung zur Versorgung von alten und kranken Menschen, aber auch Umweltprogramme oder die Förderung von sozialen und kulturellen Angeboten und der Grundversorgung in ärmeren Gebieten. Die Jobgarantie kann auf der bestehenden Infrastruktur von Freiwilligenorganisationen und NGOs oder Umweltorganisationen aufbauen, die massgeblich zu Sorge- und Betreuungsinfrastrukturen, zu Lebensqualität und unserem Lebensstandard beitragen. Viele dieser Unterstützungsstrukturen leiden an Finanzknappheit und sind deshalb abhängig von der Bereitwilligkeit von Freiwilligen: das macht sie anfällig für fehlende Kontinuität oder Personalmangel durch das Ausfallen von Freiwilligen, was gerade bei den unentbehrlichen Aspekten der Sorgearbeit ein Problem ist. Hier könnte die Jobgarantie Strukturen festigen und Verbindlichkeit und Kontinuität herstellen.
Die Initiative von und Entscheidungen über notwendige Programme und Unterstützungsstrukturen sollen auf lokaler Ebene stattfinden. Damit wird das Programm auf die Bedürfnisse vor Ort abgestützt, in demokratischen Strukturen entwickelt und angepasst und ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine sozialpolitische Massnahme (oder Strategie). Finanziert werden sollen die Programme und Angebote jedoch vom Zentralstaat (in der Schweiz: vom Bundestaat). Mit anderen Worten: Die Finanzierung passiert Top-Down, die Organisation Bottom-Up.
Ein solches Jobgarantie-Programm hätte viele Vorteile: Es reduziert die unfreiwillige Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen persönlichen Folgen, wie Ungewissheit, Stigmatisierung, Stress und psychische Belastung und gibt eine Zukunftsperspektive. Es können flexiblere Arbeitszeiten eingeführt werden – insbesondere zum Vorteil von Frauen, Eltern oder Menschen in Ausbildung. Zudem wird die Macht ökonomischer Akteure (auf Englisch: corporate sector) reduziert. Darüber hinaus kann mit der Jobgarantie ein Mindestlohn etabliert werden, der die Lebenskosten deckt oder die unbezahlte Arbeit durch eine bessere öffentliche Sorgeinfrastruktur reduzieren. Deshalb ist sie eine geeignete Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen, weil sie nicht nur die Existenzgrundlage sichert, sondern auch in Bezug auf unbezahlte Arbeit Entlastung bringen kann. *
Wir wollen der Frage nachgehen: Wie wirkt sich die staatliche Jobgarantie aus auf Care für Umwelt, auf Care für Gemeinden und Gemeinschaften und auf Care für Menschen? Was heisst das für Frauen, die den grossen Teil dieser Care-Arbeit leisten? Und welche Bedenken haben wir?
* Damit ist Pavlina Tchernevas Plädoyer für eine Jobgarantie auch in der Schweiz über Nacht politisch hoch aktuell geworden, werden doch neuerdings Unterschriften für eine zweite Initiative für ein Grundeinkommen gesammelt. Schon längst findet eine wirtschaftspolitische und wirtschaftstheoretische Kontroverse insbesondere innerhalb der Linken um das Projekt Grundeinkommen versus Jobgarantie statt. Um diese Kontroverse genauer kennen zu lernen, bieten wir Anfang nächstes Jahr eine Lesegruppe zur vertieften Lektüre der Jobgarantie an. Was ist aus feministischer Sicht dazu zu sagen?
28. Oktober
Caroline Criado-Perez (2020): Unsichtbare Frauen. München, btb Verlag. Was haben Schneeräumungen, die Konstruktion von Autos oder Schmerzmittel mit Sexismus zu tun? In ihrem Buch Unsichtbare Frauen deckt Caroline Criado-Perez die geschlechtsspezifischen Wissenslücken in Wissenschaft, Forschung und Planung unserer Welt auf und macht damit deutlich: Unsere Welt, ist von Männern für Männer gemacht. Gut die Hälfte der Menschheit wird in der Gestaltung dieser Welt systematisch vergessen und unsichtbar gemacht – mit schwerwiegenden Folgen für die soziale Sicherheit, die Gesundheit und die Lebensqualität aller, die nicht der männlichen Norm entsprechen.
30. September
Leslie Kern (2020): Feminist City. Münster, UNRAST-Verlag (deutsche Ausgabe). Feminist City von Leslie Kern befasst sich mit Erfahrungen von Frauen im städtischen, öffentlichen Raum. Zum Beispiel mit Frauen, die allein in der Stadt unterwegs sind, die mit Freundinnen ausgehen oder versuchen, sich mit kleineren oder grösseren Kindern durchzuschlagen. Darin spielen Themen wie Angst und Gefühle von Schutzlosigkeit und Verlorenheit in der Stadt eine Rolle, genauso wie die vielfältigen Erfahrungen und Möglichkeiten, welche die Stadt bietet, die aber jeweils wiederum beeinflusst sind von sozio-ökonomischen Faktoren wie Gender, Rassifizierung, Alter, körperlichen Herausforderungen oder auch Herkunft, Migration und Status. Zugang zu Entscheidungsstrukturen und Räumen und damit Zugang zu Macht und Ressourcen sind ungleich verteilt, da sich Gestaltung und Organisation oft an den Bedürfnissen spezifischer Interessensgruppen orientieren. Eine umfassende und integrierte Planung, aber auch proaktive Raumaneignung können allerdings auch Möglichkeiten bieten, ebensolche generische Strukturen zu durchbrechen.
26. August
Silvia Federici (2020): Jenseits unserer Haut: Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus. Münster, UNRAST-Verlag. Das Buch ist eine Sammlung von verschiedenen Vorträgen und Vorlesungen von Silvia Federici. Allen Beiträgen gemeinsam ist der Fokus auf den Körper und seine ökonomische, soziale und politische «Nützlichkeit», aber auch darauf, wie Autonomie, Selbstbestimmung und Lebensqualität in diesem Kontext durch Disziplin, Normen, Gewalt, Strafe oder soziale Kontrolle beeinträchtigt werden. Folgende drei Themenbereiche lassen sich darin voneinander abgrenzen:
- Der Körper als Arbeitsmaschine − Grenzen des Körpers, Ausbeutung, Gesundheit, Monotonie, Depression.
- Der Körper und Reproduktion − Kontrolle über den eigenen Körper, Reproduktion der Arbeitskräfte, LGBTQI, Leihmutterschaft, Normen, soziale Kontrolle, Stigmatisierung.
- Der sexualisierte Körper − sexuelle Ausbeutung, Belästigung, sexualisierte Gewalt, Prostitution, Normen und Wertvorstellungen, LGBTQI, der «perfekte» Körper und Kosmetikindustrie, Schönheitschirurgie, Diät und Essstörungen.