Wer tut es, wenn nicht wir es tun?
Hintergründe, Etappen und Zukunftsfragen – Mascha Madörin im bücherraum f
Unentlöhnte und schlecht bezahlte Frauenarbeit. Gefangen in Diensten am und für Menschen. Der riesige Sorge- und Versorgungs-Sektor. Systemrelevante Arbeit. Am 23. Mai 2022 sprach Mascha Madörin im bücherraum f über die dringlichen Themen rund um den Umbau des gegenwärtigen Wirtschaftssystems und ihren work in progress für eine Feministische Politische Ökonomie, die bisherige Beschränkungen überwindet. Bereits der Titel des Vortrags repräsentiert eine gesamtgesellschaftliche Frage: «Wer tut es, wenn nicht wir es tun?» Denn bis heute sind es vorwiegend Frauen, welche die gesellschaftlich notwendige Sorge- und Versorgungsarbeit leisten, grösstenteils unbezahlt und schlecht bezahlt. Aus einer feministischen Perspektive drängt es sich daher auf, zur Diskussion zu stellen, wie diese zeitintensive Arbeit in Zukunft organisiert sein soll.
Feministische Politische Ökonomie – Theoriegeschichtlicher Hintergrund
Einleitend skizzierte Madörin den theoriegeschichtlichen Hintergrund einer Ökonomie unter feministischem Gesichtspunkt und arbeitete dabei zwei Ansätze heraus.
Einerseits der von Susan Himmerlweit in ihrem Aufsatz «Why all economists should be feminist economists» prägnant beschriebene Ansatz Gender and Economics. Ein Ansatz, der nach den Geschlechterbeziehungen in der (bestehenden) Wirtschaft und nach entsprechenden Ungleichheiten fragt. Das Grundprinzip: Keine ökonomische Analyse, ohne nach Geschlechterverhältnissen zu fragen. Daraus entstand die Forderung nach Gender Budgeting, also nach konkreten Budgets, die auf Gleichberechtigung ausgerichtet sind.
Und andererseits der von Forscherinnen in den USA und Ländern des Globalen Südens entwickelte Ansatz Social Provisioning. Ein Ansatz, der grundsätzlicher danach fragt, wie in einer Gesellschaft Produktion und Dienstleistungen sowie Arbeit und Einkommen organisiert werden – mit Fokus auf Arbeit und Dienstleistungen, die einerseits das gute Leben und Überleben ermöglichen, zugleich allerdings gesellschaftliche Voraussetzung für die Akkumulation des Kapitals aufrechterhalten.
Wichtige Etappen
Theoriegeschichtlich wie auch für Mascha Madörins eigene Entwicklung lassen sich folgende wichtige Etappen feststellen:
- Ende der 1980er-Jahre wurden die ersten Daten zu unbezahlter Arbeit erhoben, für die Schweiz ab 1997. Bis heute sind diese Erhebungen sehr gut nachgeführt, aber zu wenig ausgewertet.
- Mitte der 1990er-Jahre rückten die Schuldenkrise im globalen Süden und die Politik von IWF und Weltbank die verheerenden Konsequenzen der Austeritätspolitik in den Mittelpunkt – vor allem für die Frauen in ihren verschiedenen Rollen als Ernährerin, Mutter, Erzieherin.
- 1995 brachte die UN-Weltkonferenz der Frauen in Bejing einen neuen Schub für gendergerechte Analysen.
- Und infolge der Finanzkrise 2008 stellten postkeynesianische Theorien das Dogma von Staatsschulden und Schuldenbremsen in Frage.
Zahlen und Zukunftsfragen
Was aus der Präsentation der Zahlen zur Sorge- und Versorgungswirtschaft eindrücklich hervorgeht: wir müssen die Gesamtwirtschaft als Summe aus bezahlter und unbezahlter Arbeit denken. Denn der grösste Teil aller Arbeit wird unbezahlt geleistet. Allein die Bruttowertschöpfung der Zubereitung von Mahlzeiten grösser als diejenige des ganzen Bankensektors. Aus einer feministischen Perspektive sind diese Grössenordnungen wichtig, weil unbezahlte Arbeit vorwiegend von Frauen geleistet wird. Aber auch die bezahlte Arbeit ist stark geschlechtersegregiert. Während in der Industrie der Anteil der Männerarbeit überwiegt, nimmt derjenige der Frauen insbesondere bei personenbezogenen Dienstleistungen zu. Das führt neben den eindrücklichen Dimensionen zu einer entscheidenden Erkenntnis: Alle ökonomischen Bereiche sind durch asymmetrische Beziehungen zwischen Männern und Frauen geprägt. Und die heutige Organisation der Arbeit kostet Frauen jährlich 100 Milliarden Fragen an Einkommen. Die Zukunftsfrage, die zum Schluss bleibt: wie soll gesellschaftlich notwendige Arbeit besser organisiert und finanziert werden?
Nachhören und Nachlesen: Zum vollständigen Vortrag wie auch zur schriftlichen Zusammenfassung von Stefan Howald geht es hier entlang.