Zum 8. März
Lohndiskriminierung und
unbezahlte Arbeit von Frauen
Gleichstellungsgesetz
Das Gleichstellungsgesetz in der Schweiz ist seit 1996 in Kraft. Seine Bestimmung ist deutlich: Keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Arbeitsleben. Zeit also zu überprüfen, inwiefern immer noch Lücken in der Gleichstellung zwischen Frau und Mann existieren. 40 Jahre nach der Verankerung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann in der Bundesverfassung, hat der Bundesrat im Jahr 2021 die nationale «Gleichstellungsstrategie 2030» verabschiedet. Diese wurde ergänzt durch einen Aktionsplan mit zahlreichen Massnahmen auf Ebene Bund, Kantone und Städte. In einer umfassenden Umfrage unter der Federführung des Eidgenössischem Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann zu Beginn dieses Jahres wurde die Befragung durchgeführt. Das Ziel ist eine Zwischenevaluation der Gleichstellungsstratgie 2030 und ihres Aktionsplans.
Economiefeministe hat auf Anfrage an dieser Umfrage teilgenommen:
Inhalt:
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Gleichstellungsgesetz: Keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Arbeitsleben
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Küchengespräche – Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?», Buchbesprechung
Zusammengefasste Antworten zur Umfrage
Economiefeministe hat wie folgt argumentiert
- Die Gesetzgebung darf keine Regelungen enthalten, die geschlechterdiskriminierend sind. Gesetze allein genügen leider nicht, um eine tatsächliche Gleichstellung umzusetzen. Die Fakten. Reden eine andere Sprache: In der beruflichen Vorsorge (Pensionskasse), zum Beispiel, sind Frauen und Männer nicht gleichgestellt. Weiterhin sind Frauen in der Altersvorsorge diskriminiert, weil sich ihre private und berufliche Situation von derjenigen der Männer stark unterscheidet.
- Es fehlt an der Finanzierung der Care-Arbeit, damit Frauen tatsächlich von der unbezahlten Arbeit entlastet werden. Ganz zentral, es fehlt an der Angleichung des Lohniveaus in Branchen, in denen vor allem Frauen erwerbstätig sind.
- Die Belastung durch unbezahlte Arbeit ist für Frauen in der Schweiz sehr gross Es fehlen bezahlbare Infrastrukturen für die Kinderbetreuung und die Langzeitpflege. Darüber hinaus muss Weiterbildung und Qualifikation für alle Altersstufen der Eltern finanziell ermöglicht werden.
- Die gesellschaftliche Organisation der Sorge- und Versorgungswirtschaft prägt heute die Geschlechterverhältnisse. Das gigantische Ausmass der unbezahlten Arbeit und ihre Entwicklung wird in den wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen weitgehend ignoriert. Diesbezüglich gibt es in den westeuropäischen Ländern riesige Unterschiede und jahrzehntelange Erfahrungen in der Gelichstellungspolitik. Die Lehren, die daraus gezogen werden können, müsste in der Schweiz längst ein Thema sein, sei es in der Politik, aber auch an den Universitäten.
- Kleine feministische Gruppen sind in der Regel mit der Beschaffung von relevanten Informationen überfordert. Es müsste eine schweizerische Berichterstattung über Aktivitäten von Basisorganisationen im Bereich Gleichstellunggeben, die einen Überblick über Studien, Experimente, Stellungnahmen verschaffen. Die Diskussion zur Gleichstellungspolitik sollte breit geführt werden.
- Allgemein fehlt es in der Gleichstellungspolitik an makroökonomischen Analysen.
Zur unbezahlten Arbeit von Frauen
Recherche von Louisa Roos
Frauen in der Schweiz verdienten im Jahr 2016 insgesamt 100 Milliarden CHF weniger als Männer pro Jahr – das entspricht 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Doch diese Einkommenslücke (AGEL) zeigt nur eine Seite der ungleichen Arbeitsverteilung: Frauen leisten zusätzlich erheblich mehr unbezahlte Arbeit als Männer.
Der Gender Overall Care Gap (GOCG) zeigt, dass Frauen in der Schweiz im Jahr 2016 jährlich 65 Milliarden CHF (oder 23‘000 CHF pro Frau) mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Besonders gross ist diese Lücke in der Altersgruppe 25–54, in der eine durchschnittliche Frau pro Jahr 29’000 CHF mehr an unbezahlter Arbeit übernimmt als ein durchschnittlicher Mann. Diese unbezahlte Arbeit umfasst Betreuungs- und Hausarbeit, die nicht nur für die Familie, sondern auch in der Gesellschaft essenziell ist.
Zusätzlich zu den Unterschieden im Arbeitsvolumen verdienen Frauen im Durchschnitt geringere Löhne als Männer. Die grosse Geschlechterdifferenz misst die Summe der Nicht-Bezahlung (GOCG) und der aggregierten Brutto-Lohndifferenz, also wie viel mehr Frauen verdienen würden, wenn sie die gleichen Durchschnittslöhne erhielten wie Männer. Im Jahr 2016 betrug diese Differenz rund 90 Milliarden CHF oder 32‘000 CHF pro Frau.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass Frauen nicht nur für ihre Erwerbsarbeit geringer entlohnt werden, sondern auch durch unbezahlte Arbeit einen erheblichen wirtschaftlichen Beitrag leisten. Eine Reduktion der Einkommenslücke erfordert daher eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit sowie strukturelle Veränderungen in der Arbeitswelt und der Familienpolitik.
«Küchengespräche – Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?»
Rotpunktverlag 2024, 293 Seiten, illustriert, CHF 38.00

Samuel Geiser, Heidi Kronenberg, Yoshiko Kusano
Küchengespräche
Wer kocht, putzt, wäscht und tröstet?
Der grosse Verdienst dieses Buches ist sein Thema. Über Haushalt, über das Zusammenleben unter einem Dach, darüber wird zu wenig geschrieben und geforscht. Weil sie nicht bezahlt wird, bleibt die Haus- und Familienarbeit unsichtbar und bekommt viel zu wenig Aufmerksamkeit und Gewicht, wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu treffen. Es ist, als ob es sie gar nicht gäbe. In einem bunten Strauss von Interviews werden verschiedene Formen des Zusammenlebens gezeigt. Expert:innen werden befragt, die mit Hilfe der Geschichte und der Literatur soziologische, psychologische, philosophische sowie ethische Aspekten der Haus- und Familienarbeit erläutern – und nicht zuletzt analysiert Mascha Madörin genderspezifische Probleme wirtschaftlich.
Buchbesprechung von Danielle Axelroud
Samuel Geiser, Heidi Kronenberg und Yoshiko Kusano (Fotos) laden in «Küchengesprächen» zu einer Entdeckungsreise durch die Haushaltsformen von heute ein.
Das Buch wurde als schönes, überraschendes Geschenk konzipiert für Leute, die sich für neue Formen des Zusammenlebens und dabei vor allem um den Arbeitsplatz Haushalt interessieren. Die Herausgeberschaft hat fast 30 Gespräche geführt und verschriftlicht: teils mit Personen, die diverse Lösungen ausprobieren, wie man zusammen unter einem Dach den Haushalt organisiert, teils mit Expert:innen rund um das Thema „Haushalt“.
Mit den zahlreichen Fotos von Yoshiko Kusano kriegen wir Einblicke in die – zum Teil unaufgeräumte – Intimsphäre der Bewohner. In diesem Bereich scheint die Kreativität in der Alltagsgestaltung keine Grenzen zu kennen. Diese Diversität zeigt, welch schöpferischer Umgang im Zusammenleben möglich ist. – und das ist nur ein Ausschnitt von dem, was es gibt.
Als Vertiefung zu diesen Bildern des Zusammenlebens werden 17 Expert:innen in Gesprächen befragt: zur Geschichte und Literatur, zu soziologischen, psychologischen und ethischen Aspekten der Haus- und Familienarbeit. Die genderspezifischen Probleme werden wirtschaftlich und philosophisch beleuchtet. In diesen Gesprächen wird deutlich, wo sich die Konflikte im Haushalt verbergen.
Die ausführliche Einleitung ermöglicht einen guten Einstieg in die vielfältige Materie. Einiges möchte ich besonders hervorheben.
Es fängt mit der Geschichte an: Frauen waren zuständig für die „Hauswirtschaft“ – für Elisabeth Joris ein viel präziserer Begriff als „Haushalt“. Die Familien waren nicht abgeschlossen, sie waren durchmischt, durchlebt. Gesellen oder Knechte assen mit im Handwerker- oder Bauernhaushalt, auch Dienstmädchen oder Verwandten, Pflegekinder, Kost- und Schlafgänger, Nachbar:innen. Die «klassische» Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau etablierte sich erst mit der Industrialisierung ab 1850 und führte zu einer Doppelbelastung der Frau. Auf einmal musste sie die Haushaltsarbeit nach der Fabrikarbeit «wie nebenbei» erledigen.
Daher die avantgardistischen Forderungen der Frauen anfangs des 20. Jahrhunderts, von denen wir von Simona Isler, Historikerin, erfahren. Erstmals erfasste Betty Farbstein (1910) das Vereinbarkeitsproblem: Frauen müssten entweder von Erwerbsarbeit entlastet werden – indem sie für ihre Hausarbeit Lohn bekommen – oder ihnen müsste die Hausarbeit abgenommen werden. Farbstein hielt einen Hausarbeitslohn politisch für nicht durchsetzbar und schlug deshalb Gemeinschaftsküchen mit gut entlohnten Köchinnen und Hausarbeiterinnen vor, die ganze Wohnblöcke versorgen. Damals war allen klar, dass Hausarbeit Arbeit ist, und dass nach Lösungen für diese gesucht werden musste, wenn Frauen vermehrt in die Berufsarbeit einsteigen sollten. Es überrascht vielleicht, dass um 1900 Probleme der Sorge- und Versorgungsarbeit stärker als heute strukturell verstanden wurden.
Ina Praetorius, Theologin, Care-Ethikerin und postpatriarchale Denkerin, stellt unmissverständlich klar: Ohne Sorge- und Versorgungsarbeit, ohne Hauswirtschaft gibt es keine Menschen. Und ohne Menschen braucht es auch keine Wirtschaft. Haus- und Familienarbeit ist weltweit die Basis der Ökonomie. Sie schlägt vor, die Welt als Haushalt zu denken, statt als Markt. Denn der Markt sei nicht zuständig für Basisbedürfnisse, sondern nur für Überschüsse, «für nicht existenzielle Güter die aber das Leben schön und reich machen» – bildlich gesprochen für alles ab Kleid Nummer zwei. Sie schlägt einen radikalen Paradigmenwechsel vor: Ein Welthaushalt wäre im Kern eine Wirtschaft, welche Care-Arbeit und die natürlichen Lebensgrundlagen ins Zentrum stellt.
Mascha Madörin drückt es als Ökonomin ähnlich aus: im Haushalt als eigenständiger Ort der Produktion und von Dienstleistungen wird ein wesentlicher Beitrag zum Wohlstand der Nation geleistet. Ohne diese Leistungen, die vorwiegend von Frauen erbracht werden, kann sich eine Gesellschaft nicht aufrechterhalten. Das, was üblicherweise exklusiv als Wirtschaft bezeichnet wird – also die Landwirtschaft, die Industrie, das Finanzwesen, die Verwaltung – ist der kleinere Teil der Gesamtwirtschaft, wenn die unbezahlte Sorge- und Versorgungsarbeit integriert wird. Die Grössenordnungen der unbezahlten Arbeit sind überwältigend. Die Bruttowertschöpfung des Haushaltsektors, unbezahlte Arbeit miteingerechnet, war 2020 rund sieben Mal grösser als diejenige der Banken und Versicherungen. In der Realität ist und bleibt die Haus- und Familienarbeit in ihrer grossen Mehrheit unbezahlt. Das bedeutet für Frauen eine grosse Einkommenslücke: Auch wenn Frauen und Männer gleich viele Stunden arbeiten, haben Frauen jährlich mindestens 100 Milliarden Franken weniger Einkommen als Männer. Denn, eben: Frauen arbeiten zu zwei Dritteln unbezahlt.
Franziska Schutzbach bringt es auf dem Punkt: Ohne Umverteilung von Geld- und Zeitressourcen wird es Gendergerechtigkeit nicht geben. Sie schlägt vor, dass Unternehmen eine Art Care-Steuer zahlen sollten. Denn die Wirtschaft profitiert von der Gratis-Care-Arbeit zu Hause und der billig verrichteten Sorgearbeit in Kitas oder Krankenhäusern –die mehrheitlich von Frauen erbracht wird.
Christof Arn, Theologe und Ethiker, hat einen Vorschlag. Es fehlt eine starke Lobby für die Haus- und Familienarbeit. Eine anerkannte Arbeit braucht einfach eine Gewerkschaft. Fehlt sie, ist sie eben nicht anerkannt.
In allen Gesprächen durchdringt ein gemeinsamer Ton. Es geschieht im Haushalt etwas Einmaliges. Da kommt es zu Zusammenstössen, aber da trifft und begegnet sich auch ganz Vieles. Da gibt es Gründe für Konflikte. Für Liliane Schaffner, Psychoanalytikerin, ist es ein Glücksfall, wenn es mit dem zusammen Haushalten klappt. Oder birgt dieser Ort der Gegensätze auch Chancen, um etwas Neues zu entwickeln? Denn wenn man sich reibt, kann daraus Überraschendes zu Tage treten. Es gibt im Zusammenleben unter einem Dach viele Anlässe zum Streit, und gestritten soll auch werden – sagt Lisa Schmuckli, die das Thema als Philosophin beleuchtet.
Der Haushalt erscheint in den Küchengesprächen als Ort des Überganges, als Verbindung zwischen der Innen- und der Aussenwelt. Es ist der Ort der Wechselwirkung zwischen individuellen Ressourcen und gesellschaftlichen Bedingungen, wo sich Gesellschaftliches und Privates treffen.
In vielen Gesprächen sickern Sehnsüchte durch: Man wünscht sich, dass es mehr fliesst; man wünscht sich ein ineinander verwobenes Nebeneinander, ein Durcheinanderwirbeln männlicher und weiblicher Sphären, die Aufhebung der meilenweiten Trennung von Wohnen und Arbeiten, eine Vermischung von privat und öffentlich. Man wünscht sich eine Welt, wo alles Lebendige und Materielle miteinander verbunden ist – eine globale ökologische Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft.
Küchengespräche: Hier wird ausserdem auf diese besondere Art hingewiesen, gemeinsames Denken zu spinnen, das sich vorzugsweise im Haushalt – damals beim gemeinschaftlichen Waschplatz, heute eher in der Küche, während man kocht und sich über den Tag austauscht – entfalten kann. Küchengespräche verlangsamen wohltuend. Man kann sich mit einer Antwort Zeit lassen und Gedanken reifen lassen.
Der grosse Verdienst des Buches ist sein Thema. Über Haushalt, über das Zusammenleben unter einem Dach, darüber wird zu wenig geschrieben und geforscht. Weil sie nicht bezahlt wird, bleibt die Haus- und Familienarbeit unsichtbar und bekommt viel zu wenig Aufmerksamkeit und Gewicht, wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu treffen. Es ist als ob es sie gar nicht gäbe.
Der Haushalt und das Zusammenleben unter einem Dach werden im Buch als eine Oase, eine Insel des Wohlbefindens dargestellt – für meinen Geschmack fast zu schön um wahr zu sein. Dieser Eindruck wird durch die Gespräche mit den Expert:innen relativiert. Aber das Konfliktpotential, das dort lauert, hätte mehr Platz verdient. Denn der Arbeitsplatz Haushalt, der nicht formal reguliert ist, zwingt die Beteiligten die Arbeitsbedingungen selber zu verhandeln.
Unter dem Titel «Küchengespräche» hätte ich auch erwartet, dass über die Inhalte der Küchengespräche geschrieben wird: Was ist das, worüber man zu Hause, am Tisch oder in der Küche spricht? Welche Fragen beschäftigen die Leute zu Hause, worüber man woanders schweigt?