Resümee der Veranstaltung Covid-Stimuli in der EU
Welche Fragen müssten gestellt werden? Ein feministischer Blick auf Konjunkturpakete und Finanzierungsfragen.
Am 17.6.2021 führte Economiefeministe, die Plattform für feministische Ökonomie, ihre erste öffentliche Veranstaltung durch. Elisabeth Klatzer aus Österreich, eine langjährige Expertin im Bereich Gender Budgeting, analysierte das EU-Finanzpaket Next Generation EU zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Covid-Pandemie – und zwar auf der Grundlage ihrer gemeinsam mit Azzurra Rinaldi verfassten Studie #nextGenerationEU. Leaves Women Behind. (Die Zusammenfassung der Studie von Christine Rudolf kann hier gelesen werden.)
Gemeinsam mit Mascha Madörin und Christine Rudolf diskutierte sie im Anschluss im Fachgespräch die Auswirkungen von Stimuli in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Referat von Elisabeth Klatzer
Next Generation EU ist als Programm nicht solitär verstehbar. Es ist eingebettet in die europäische Finanzarchitektur, die beispielsweise Auszahlungsmodi determiniert. Ein wesentlicher Bestandteil des Programms fliesst in den Recovery and Resilience Facility Fond, der mit 740 Milliarden Euro ein nie da gewesenes Ausmass an europäischer Finanzierung erreicht. Neu ist auch die hälftige Finanzierung über gemeinsame Schulden. Im Gegensatz zu Aktivierungsmassnahmen durch die EU mit Elementen zur geschlechtergerechten Verteilung von Geldern zu Beginn dieses Jahrtausends, bedeutet Next Generation EU ein Rückfall in geschlechterblinde Verteilungsmechanismen, die zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise im Nachgang der globalen Krise 2007 Anwendung fanden. Das heisst konkret: Männerdominierte Teile der Wirtschaft werden gestützt, obwohl durch die Covid-Pandemie insbesondere Bereiche der frauendominierten Sorge- und Versorgungswirtschaft elementar und direkt betroffen waren. Elisbeth Klatzer charakterisierte zutreffend: Altbekannt, die Gewährleistung von Care-Arbeit wird als selbstverständlich vorausgesetzt; Fragen der zu erzielenden Qualität bleiben dabei aussen vor. Auf der Grundlage von Eurostat-Daten und eigenen Berechnungen weist sie die Diskrepanz zwischen durch die Krise betroffenen Sektoren und der Verteilung der EU-Gelder nach.
Die Abschätzung der Gleichstellungsfolgen fällt auf dieser Grundlage desaströs aus. Elisabeth Klatzer spricht von einer geschlechterpolitischen Schieflage. Kleine «Erfolge» lassen sich allenfalls im Mehrjährigen Finanzrahmen erkennen. Hier ist die Geschlechtergleichstellung immerhin auf der verbalen Ebene mit dem Klimaschutz und der Biodiversität verknüpft.
Unbeantwortet und scheinbar beliebig in der Finanzstrategie der EU bleiben Fragen nach der Bedeutung des öffentlichen Sektors, aber auch auf welche Art und Weise Care-Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden oder wie sich Care-Stimuli makroökonomisch im Vergleich zu tradierten Finanzierungsstrategien auswirken.
Fachgespräch
Erste Hinweise auf mögliche Auswirkungen von Care-Stimuli liefern Susan Himmelweit und Jerome De Henau in ihrer 2018 veröffentlichten Studie: Die Erhöhung der Beschäftigungsrate durch Stimuli im Care-Bereich fällt doppelt so hoch aus wie in anderen Sektoren der Wirtschaft. Langfristig muss die Finanzierung der Sorge- und Versorgungswirtschaft jedoch dauerhaft gelöst werden. Stimuli und dauerhafte finanzielle Absicherung der Sorge- und Versorgungsstrukturen, aber auch der permanenten Care-Arbeit, müssen entsprechend getrennt diskutiert werden, weil sie erstens unterschiedliche ökonomische Folgen haben und weil zweitens nur eine langfristige finanzielle Absicherung von Care-Strukturen die Resilienz von Gesellschaften substanziell verbessern können.
Mascha Madörin verweist in diesem Zusammenhang auf die immer noch vorherrschende Perspektive auf Care-Finanzierung durch den Blickwinkel des Ernährermodells. «Wir kurbeln die Wirtschaft an und wenn die läuft, dann haben wir für Care-Arbeit vielleicht noch etwas übrig.»
Die erweiterte Perspektive auf die Sorge- und Versorgungswirtschaft, die zum Beispiel Einkaufsmöglichkeiten oder Zugang zur ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum in den Blick nehmen würde, bleibt damit aussen vor. Die Verengungen von ökonomischen Perspektiven beziehungsweise von fiskalischen Möglichkeiten und die damit einhergehende Verknappung von Geld, spielt dabei vor allem in Europa eine wesentliche Rolle. Die ökonomische Debatte in den USA bezieht inzwischen auch eine andere ökonomietheoretische Perspektive ein. Mit Stephanie Kelton als Beraterin von Bernie Sanders hält die Modern Money Theorie (MMT) Einzug in die öffentliche politische Debatte zur Finanzierung von gesellschaftlichen Aufgaben. Mit dem Programm Build Back better wird in den USA ein staatliches Ausgabenpaket diskutiert, das seinesgleichen sucht.
Klare Begrifflichkeiten sind in der theoretischen Analyse extrem wichtig. Es muss immer deutlich gemacht werden, wovon genau die Rede ist. Mit Care Ökonomie ist etwas anderes gemeint als mit Sorge- und Versorgungswirtschaft. Der Begriff Care-Ökonomie umfasst Arbeiten, die von und für Menschen im direkten Austausch getan werden. Konkret: beim Pflegen, Haare schneiden oder Kinder betreuen. Sorge- und Versorgungswirtschaft ist weiter gefasst. Neben den Aspekten der Care-Ökonomie werden in diesem Begriff auch Einkaufsmöglichkeiten oder der Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeschlossen – gerade bei der Diskussion über ländliche Gebiete ein sehr wichtiger Aspekt. In der englischsprachigen Welt ist ausserdem der Begriff social provisioning eingeführt. Darin eingeschlossen sind neben den vorher genannten Sektoren auch die allgemeine Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur, Zugang zu Energie, Wasser, Bildung und vieles mehr. In der Bundesrepublik Deutschland sind diese Bereiche auch unter dem Begriff Daseinsvorsorge gefasst.
Auch die Wirksamkeit der Instrumente Gender Mainstreaming versus Gender Budgeting spielten im Fachgespräch eine Rolle. Staatliche Ausgaben sind nicht per se hilfreich für emanzipatorische Ziele. Christine Rudolf erläutert, welche Vorteile Gender Budgeting bei staatlichen Ausgaben entfalten kann: Es ist ein Instrument, keine Theorie. Und als Instrument ermöglicht es, staatliche Einnahmen und Ausgaben darauf hin zu untersuchen, welche geschlechtsspezifische Wirkung daraus resultiert.
Die ausserplanmässigen Ausgaben, die in den beiden letzten Jahren zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie in allen drei Ländern getätigt wurden, befeuert die Debatte, in Zukunft wieder die Schulden zurückfahren zu müssen. Diese hatte vor der vierten Welle schon begonnen. Die Verknappung von öffentlichen Finanzen ist aber gerade das Gegenteil von einer Stärkung der Strukturen im Gesundheitswesen, was als Ziel des Projektes NextGenerationEU definiert wurde. Es stellt sich die Frage, ob mit einer erneuten Einführung von Schuldenbremsen und der Begleichung bestehender Schulden nicht trotz des aufgelegten Programms in Deutschland und Österreich weniger Geld für Gesundheitsversorgung zur Verfügung steht als vorher. Die Amerikanische Debatte über die Notwendigkeit, Menschen und Strukturen nach Corona mit öffentlichem Geld zu stärken, wird unter deutlich anderen Vorzeichen geführt. Denn die Modern Money Theorie eröffnet finanzielle Spielräume für den Sorge- und Versorgungssektor.
Als ein mögliches regulatorisches Konzept zur Bewältigung der Krise der unbezahlten Sorgearbeit wird immer wieder das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) diskutiert. Alle drei Fachfrauen stehen dieser Konzeption eher kritisch gegenüber. Zur Debatte standen verschiedene Argumente: Ein wesentlicher Punkt war, dass die Finanzialisierung, beziehungsweise Kommodifizierung, von bisher unbezahlter Care-Arbeit durch das BGE möglicherweise weiter voranschreite. Ein anderer, dass Fragen der makroökonomischen Auswirkungen nicht geklärt seien. Und drittens, dass im BGE per se keinerlei emanzipatorische Wirkung gesehen werde. Diese verschiedenen Argumente zeigen, dass es hier einen grossen Diskussions- und Aushandlungsbedarf gibt, der noch geleistet werden muss.
Christine Rudolf bringt eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung als möglichen Ansatz zur Entschärfung der Care-Krise in den privaten Haushalten in die Debatte ein. Wenn alle weniger Erwerbsarbeit ausüben, haben sie mehr Zeit für Care-Arbeit im privaten Haushalt. Die Rushhour des Lebens könnte so entzerrt werden.
Intensiv wurde über politische Durchsetzungsmöglichkeiten im Interesse der Sorge- und Versorgungswirtschaft unter feministischer Perspektive diskutiert.
Elisabeth Klatzer weist explizit darauf hin, dass es jetzt notwendig wäre, Druck auf der Strasse zu entfalten, um gleichstellungspolitische Ziele zu erreichen und darüber hinaus: um genderpolitische Aspekte auch in bestehende Bewegungen einzubringen – etwa in die Klimabewegung. Auf Grund ihrer vielfältigen politischen und aktivistischen Erfahrung befürchtet sie, dass sonst nicht viel passiert, egal welche Theorien wir diskutieren oder welche Instrumente wir einführen. Österreich hat beispielsweise Gender Budgeting implementiert und Klatzers Fazit lautet: «das Instrument wurde ausgehöhlt.»